EN 1090 Schweißkonstruktion: Sicherheit und Qualität im europäischen Metallbau
Die europäische Normenreihe EN 1090 hat den Metallbau fundamental verändert. Als verbindliches Regelwerk für tragende Bauteile aus Stahl und Aluminium stellt sie einheitliche Qualitäts- und Sicherheitsstandards sicher, die seit Juli 2014 in der gesamten Europäischen Union gelten¹. Für Metallbaubetriebe bedeutet diese Norm gleichzeitig Herausforderung und Chance, sich als qualifizierter Partner im bauaufsichtlichen Bereich zu positionieren.
Grundlagen der EN 1090 Schweißkonstruktion
Die EN 1090 ersetzt die bisherigen nationalen Normen wie die DIN 18800-7 für Stahl und DIN V 4113-3 für Aluminium². Diese europäische Harmonisierung schafft einheitliche technische Standards, die eine höhere Standsicherheit von Bauwerken über alle Landesgrenzen hinweg garantieren.
Die Normenreihe gliedert sich in drei wesentliche Teile:
- EN 1090-1: Anforderungen für die Konformitätsbewertung von Stahl- und Aluminiumtragwerken
- EN 1090-2: Technische Regeln für die Ausführung von Stahltragwerken
- EN 1090-3: Technische Regeln für die Ausführung von Aluminiumtragwerken
Rechtliche Grundlagen und Verpflichtungen
Die Bauproduktenverordnung (EU) Nr. 305/2011 verpflichtet jeden Hersteller, der tragende Bauteile aus Stahl und Aluminium in EU-Staaten in Verkehr bringen möchte, zur CE-Kennzeichnung seiner Produkte³. Diese Verordnung gilt seit dem 1. Juli 2013 und macht die Zertifizierung nach EN 1090 zur rechtlichen Voraussetzung für den Handel mit entsprechenden Bauprodukten.
Der bauaufsichtliche Bereich umfasst alle tragenden und sichernden Bauprodukte. Dies betrifft Treppen und Geländer ebenso wie Stahlkonstruktionen, Hallen und Ingenieurbauwerke⁴. Aufträge für Metallbauarbeiten in diesem Bereich dürfen ausschließlich an Fachbetriebe vergeben werden, die über die vorgeschriebenen Qualifikationsnachweise verfügen.
Die vier Ausführungsklassen im Detail
Ein zentraler Bestandteil der EN 1090 ist die Festlegung von Ausführungsklassen (Execution Classes, EXC), die von EXC 1 bis EXC 4 reichen⁵. Mit steigender Ausführungsklasse erhöhen sich die Anforderungen an Qualität, Überwachung, Prüfung und Dokumentation der Fertigung.
EXC 1: Einfache Konstruktionen
Diese Klasse umfasst vorwiegend ruhend beanspruchte Tragwerke aus Stahl bis zur Güte S275. Beispiele sind Geländer bis Anpralllast 0,5 kN/m, Treppen und Balkone für Einfamilienhäuser sowie Vordächer für nicht öffentliche Gebäude⁶.
EXC 2: Standard-Metallbaukonstruktionen
Die EXC 2 regelt vorwiegend ruhend und nicht vorwiegend ruhend beanspruchte Tragwerke aus Stahl bis zur Güte S700, die nicht den anderen Ausführungsklassen zuzuordnen sind. Die meisten Metallbaubetriebe im bauaufsichtlichen Bereich benötigen diese Zertifizierungsklasse⁷.
EXC 3: Sicherheitskritische Konstruktionen
In diese Kategorie fallen Dachkonstruktionen von Versammlungsstätten und Stadien, Türme und Maste wie Antennentragwerke sowie andere sicherheitskritische Bauwerke mit erhöhtem Schadenspotenzial⁸.
EXC 4: Höchste Sicherheitsanforderungen
Diese Klasse gilt für alle Tragwerke der EXC 3 mit extremen Versagensfolgen für Menschen und Umwelt bei erforderlichem Ermüdungsfestigkeitsnachweis⁹.
Werkseigene Produktionskontrolle als Kernstück
Die zentrale Forderung der EN 1090-1 ist die Einführung der werkseigenen Produktionskontrolle (WPK) im Betrieb¹⁰. Dieses umfassende Qualitätssicherungssystem muss durch eine notifizierte Stelle überprüft und zertifiziert werden. Die WPK stellt sicher, dass alle in Verkehr gebrachten Produkte die angegebenen Leistungsmerkmale erfüllen.
Wesentliche Bestandteile der WPK umfassen:
- Erstprüfung der Produkte durch den Hersteller
- Fertigungsbegleitende Produktüberprüfungen nach festgelegten Prüfplänen
- Kontinuierliche Dokumentation aller Produktionsprozesse
- Rückverfolgbarkeit der verwendeten Materialien
- Regelmäßige Kalibrierung der Prüfmittel
Schweißtechnische Anforderungen
Die schweißtechnischen Anforderungen der EN 1090 sind besonders streng und orientieren sich an der ISO 3834. Sowohl Schweißer als auch Schweißaufsichtspersonen müssen hohe Fachkenntnisse und Fertigkeiten nachweisen. Die Qualifikation der Schweißprozesse erfolgt durch entsprechende Schweißverfahrensprüfungen nach DIN EN ISO 15614-1¹¹.
Wesentliche schweißtechnische Anforderungen:
- Schweißerprüfungen: Nach DIN EN ISO 9606-1 für Stahl und 9606-2 für Aluminium
- Schweißaufsicht: Qualifizierte Schweißaufsichtsperson nach DIN EN ISO 14731
- Schweißanweisungen: Detaillierte WPS (Welding Procedure Specifications)
- Zerstörungsfreie Prüfung: Systematische Kontrolle kritischer Schweißnähte
Zerstörungsfreie Prüfverfahren
Die EN 1090-2 schreibt an kritischen Schweißnähten Ultraschall- oder Durchstrahlungsprüfungen vor, je nach Beanspruchungsart und den verschiedenen Ausführungsklassen¹². Die zerstörungsfreien Prüfungen müssen von qualifizierten Experten durchgeführt werden. Viele Metallbaubetriebe beauftragen externe Sachverständige, da ihnen die technischen Möglichkeiten oder das geschulte Personal fehlen.
Typische Prüfverfahren umfassen:
- Sichtprüfung (100% aller Schweißnähte)
- Farbeindringprüfung
- Magnetpulverprüfung
- Ultraschallprüfung
- Durchstrahlungsprüfung
Wirtschaftliche Auswirkungen der Zertifizierung
Die Zertifizierung nach EN 1090 verursacht jährliche Kosten zwischen 2.000 und 5.000 Euro¹³. Diese Investition amortisiert sich jedoch durch mehrere Faktoren. Zertifizierte Betriebe können eine größere Bandbreite an Materialien einsetzen und verfügen über eine bessere Qualitätsüberwachung ihrer Produktionskette¹⁴.
Wirtschaftliche Vorteile der Zertifizierung:
- Marktzugang: Berechtigung zur CE-Kennzeichnung und zum EU-weiten Handel
- Auftragschancen: Öffentliche Auftraggeber fordern zunehmend zertifizierte Betriebe
- Rechtssicherheit: Schutz vor zivilrechtlichen und baurechtlichen Folgen
- Versicherungsschutz: Vermeidung von Zahlungsverweigerungen durch Versicherungen
- Qualitätsverbesserung: Optimierung betriebsinterner Abläufe
Rechtliche Konsequenzen bei Nichteinhaltung
Die Missachtung der EN 1090 kann für Metallbaubetriebe erhebliche straf- und versicherungsrechtliche Konsequenzen haben¹⁵. Ein aktueller Fall vor dem Amtsgericht Friedberg zeigt die Tragweite: Eine Tragwerkserweiterung musste zurückgebaut werden, da der ausführende Betrieb nicht nach EN 1090 zertifiziert war¹⁶.
Mögliche rechtliche Folgen umfassen:
- Zahlungsverweigerung durch Auftraggeber
- Rückbauverpflichtung auf eigene Kosten
- Versicherungsausschluss im Schadensfall
- Geldbußen und Baustopps durch Ordnungsbehörden
- Abmahnungen im Wettbewerbsrecht
- Haftung für Vertragsstrafen bei Bauverzögerungen
Der Zertifizierungsprozess
Der Zertifizierungsprozess nach EN 1090 dauert typischerweise zwischen 12 Wochen und 6 Monaten, abhängig vom Kenntnisstand und der gewählten Ausführungsklasse¹⁷. In Deutschland gibt es 17 anerkannte Zertifizierungsstellen, darunter TÜV SÜD, ZDH-ZERT und DVS ZERT¹⁸.
Der Prozess gliedert sich in folgende Schritte:
- Bestandsaufnahme: Bewertung des aktuellen Stands im Betrieb
- WPK-Einrichtung: Aufbau der werkseigenen Produktionskontrolle
- Personalqualifikation: Schulung und Prüfung von Schweißern und Schweißaufsicht
- Erstprüfung: Produktion und Dokumentation eines Probestücks
- Erstinspektion (ITC): Überprüfung durch die zertifizierende Stelle
- Zertifikatserteilung: Bei erfolgreicher Prüfung
- Laufende Überwachung: Regelmäßige Kontrollen je nach Ausführungsklasse
Überwachungsintervalle und Gültigkeit
Die Zertifizierung muss regelmäßig überprüft werden. Bei den Ausführungsklassen EXC 1 und EXC 2 erfolgt die erste Überwachung ein Jahr nach der Erstinspektion, danach alle drei Jahre¹⁹. Bei höheren Ausführungsklassen sind die Intervalle entsprechend kürzer.
Zusätzlich müssen Schweißer ab der Ausführungsklasse EXC 2 ihre Schweißerprüfung alle zwei Jahre wiederholen²⁰. Diese kontinuierliche Qualifizierung stellt sicher, dass die hohen Standards dauerhaft eingehalten werden.
Anwendungsbereiche und Ausnahmen
Die EN 1090 gilt für alle tragenden und sichernden Bauteile aus Stahl und Aluminium. Explizit nicht erfasst werden hingegen Schilder, Fahnenmasten, Schmiedestücke, Tore ohne Brandschutzanforderungen, Unterkonstruktionen für GK-Platten, Handläufe ohne Absturzanforderungen, Zäune, Wandverkleidungen und Türen²¹.
Grundlage für alle Arbeiten im Geltungsbereich der EN 1090 ist eine statische Berechnung nach Eurocode, die Angaben zu Schadensfolgeklasse, Ausführungsklasse und Konstruktion enthalten muss²².
Digitalisierung und Online-Register
Alle erteilten Zertifikate werden im öffentlich zugänglichen internationalen Online-Register www.en1090.net geführt²³. Dies ermöglicht Auftraggebern eine einfache Überprüfung der Zertifizierung potenzieller Auftragnehmer und schafft Transparenz im Markt.
Aktuelle Entwicklungen und Normrevision
Die EN 1090-2 wurde im September 2024 überarbeitet. Wesentliche Änderungen betreffen Regelungen zu hochfesten Stählen (HSS) mit einer Mindeststreckgrenze von 460 N/mm²²⁴. Unternehmen, die solche Werkstoffe verarbeiten, müssen die damit verbundenen Anforderungen in ihrem WPK-System berücksichtigen.
Ihr Weg zur EN 1090 Zertifizierung
Die EN 1090 Zertifizierung ist mehr als eine regulatorische Anforderung. Sie stellt einen Qualitätsstandard dar, der Sicherheit, Zuverlässigkeit und Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Markt gewährleistet. Die entstehenden Kosten stehen in keinem Verhältnis zu den potenziellen Schäden, die durch eine fehlende Zertifizierung entstehen können.
Als erfahrener Partner für Audits, Zertifizierungen und Schulungen begleitet ProIndustries GmbH Metallbaubetriebe auf ihrem Weg zur erfolgreichen EN 1090 Zertifizierung. Unser Team aus zertifizierten Experten und Schweißfachkräften unterstützt Sie von der ersten Bestandsaufnahme bis zur laufenden Überwachung.
Unsere Leistungen für Ihre EN 1090 Zertifizierung:
- Zertifizierungs-Check: Kostenlose Erstberatung und Bestandsaufnahme
- WPK-Aufbau: Entwicklung und Implementierung der werkseigenen Produktionskontrolle
- Personalqualifikation: Schweißerprüfungen und Schulungen für Schweißaufsichtspersonen
- Verfahrensprüfungen: Schweißverfahrensprüfungen nach ISO 15614-1
- Vor-Audit: Interne Überprüfung zur Vorbereitung auf die Zertifizierung
- Zertifizierungsbegleitung: Unterstützung während des gesamten Prozesses
Kontaktieren Sie uns für ein unverbindliches Beratungsgespräch und erfahren Sie, wie Sie Ihren Betrieb erfolgreich nach EN 1090 zertifizieren können. Sichern Sie sich Ihren Platz im qualitätsorientierten europäischen Metallbaumarkt.
Ihr Partner für sichere Schweißkonstruktionen – ProIndustries GmbH
Quellenverzeichnis
¹ Bauproduktenverordnung (EU) Nr. 305/2011, gültig seit 01.07.2013
² Bundesverband Metall (BVM): „FAQs zur DIN EN 1090″, 2022
³ Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH (DAkkS), Akkreditierungsumfang D-ZE-14153-06-01
⁴ Handwerkskammer Hannover: „Schweißen im bauaufsichtlichen Bereich”, 2024
⁵ DIN EN 1090-2, Abschnitt 4.1.2: Ausführungsklassen EXC 1 bis EXC 4
⁶ DIN EN 1993-1-1/NA:2017-09, Nationaler Anhang Deutschland
⁷ ZDH-ZERT GmbH: Zertifizierungsstatistik Metallbaubetriebe
⁸ EUROCODE 3, Anhang C 2.2.4: Zuordnung der Ausführungsklassen
⁹ DIN EN 1090-2:2018+A1:2024, Technische Regeln für Stahltragwerke
¹⁰ DIN EN 1090-1:2009+A1:2011, Konformitätsbewertung von Stahlbauteilen
¹¹ DIN EN ISO 15614-1: Schweißverfahrensprüfung
¹² SGS Deutschland: „DIN EN 1090 Schweißnahtprüfung”, 2016
¹³ metallbau Magazin: „Never ending story: EN 1090″, Januar 2023
¹⁴ Deutsche Handwerks Zeitung: „EN 1090 – viele Betriebe noch nicht zertifiziert”, 2014
¹⁵ Bundesverband Metall: Rechtliche Konsequenzen bei EN 1090 Verstößen
¹⁶ Amtsgericht Friedberg: Urteil zur EN 1090 Zertifizierungspflicht, 2022
¹⁷ SLV Nord: Betriebszertifizierung nach DIN EN 1090
¹⁸ Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Liste anerkannter Zertifizierungsstellen
¹⁹ DIN EN 1090-1, Anhang ZA: Überwachungsintervalle
²⁰ DIN EN ISO 9606-1/-2: Schweißerprüfung für Stahl und Aluminium
²¹ EN 1090 Anwendungsbereich: Ausnahmen und Abgrenzungen
²² EUROCODE Anforderungen an statische Berechnungen
²³ Online-Register EN 1090: www.en1090.net
²⁴ Metall-Zert GmbH: „EN 1090-2:2018+A1:2024 Revision”, September 2024